Sie könnten nicht unterschiedlicher ticken: Ob das Treffen der beiden «extremen» Grossrätinnen den Beginn einer wunderbaren politischen Freundschaft signalisiert?
Da sitzen sie also an einem Tisch, und der Journalist kommt nicht umhin, festzustellen, dass die SVP-Politikerin Sandra Schneider zu seiner Linken Platz genommen hat und Christa Ammann, die Vertreterin der Alternativen Linken, zu seiner Rechten. Und noch etwas ist ihm aufgefallen. Fügt man die beiden Nachnamen in der richtigen Reihenfolge zusammen, ergibt das den Namen eines ehemaligen FDP-Bundesrats: Schneider-Ammann. Könnte man sagen, dass die FDP sozusagen die politische Mitte zwischen diesen beiden «extremen» Positionen markiert? Christa Ammann verdreht die Augen und ruft: «Also bitte, die FDP ist in meinem Selbstverständnis definitiv keine Mitte-Partei.» Und Sandra Schneider schüttelt lächelnd den Kopf.
Haben die beiden Politikerinnen eigentlich in den vergangenen fast fünf Jahren im Grossen Rat schon einmal gleich gestimmt? Sandra Schneider und Christa Ammann schauen sich fragend an. Sie sitzen im Innenhof des Berner Generationenhauses; es ist ein sonniger Morgen, eine Gruppe spielender Kinder der nahegelegenen Kita, die Wählerinnen und Wähler der Zukunft, sorgt für eine belebende akustische Kulisse. «Bei der Baujagd», entfährt es Christa Ammann. «Stimmt», sagt Sandra Schneider, «da waren wir uns einig, dass dies Tierquälerei ist und verboten gehört.»
Im September 2021 hatte der Grosse Rat eine Motion mit 79 zu 64 Stimmen überwiesen, wonach die Baujagd im Kanton Bern wegen ihrer Grausamkeit weitgehend verboten werden sollte. Bei der Baujagd wird ein Hund in den Bau eines Fuchses geschickt, um die Bewohner ins Freie zu treiben. Vor dem Bau warten Jäger und Jägerinnen, um die Tiere zu erlegen.
Nun liesse sich mit etwas Fantasie behaupten, dass die beiden Grossrätinnen politisch abwechselnd die Rollen der Jägerin und des gejagten Fuchses einnehmen. Die 32-jährige Bielerin Sandra Schneider und die 40-jährige Bernerin Christa Ammann sind laut Smartvote die «rechteste» und die «linkste» Vertreterin im 160-köpfigen Grossen Rat. Die eine setzt sich für tiefere Steuern ein und wehrt sich gegen Schikanen im Strassenverkehr. Zu ihren politischen Vorstössen gehört die Forderung nach einem generellen Bettelverbot. Vergeblich verlangte sie einen höheren Steuerabzug für Autofahrende.
«Der Vorstoss von Christa Ammann zum Frauenstreiktag ist politisches ‹Gegränne›, um den Feminismus noch zu rechtfertigen.»
Sandra Schneider, Grossrätin der SVP
Christa Amman wiederum hat längst die Nase voll von einem Kanton, der trotz schwarzen Zahlen regelmässig Sparübungen auf dem Buckel der Ärmsten und Schwächsten vollziehe, während er gleichzeitig Steuergeschenke an die Reichen verteile. Im Kantonsparlament stellt sie regelmässig kritische Fragen zu Polizeieinsätzen, sie verlangt, dass LGBTI-feindliche Gewalt statistisch erfasst wird und fordert eine Direktaufnahme von Geflüchteten an der EU-Aussengrenze.
Politisiert in der Steuerverwaltung
Christa Ammann ist ausgebildete Sozial- und Heilpädagogin mit einem Master in sozialer Arbeit. Sie arbeitete in einem Frauenhaus und ist heute in leitender Funktion bei der Fachstelle Sexarbeit Xenia in Bern angestellt, Ammann stammt aus einer eher bürgerlichen Familie, im erweiterten Familienumfeld habe es Leute gegeben, die in der SP aktiv gewesen seien oder sich in den 1970er-Jahren in der Anti-AKW-Bewegung engagiert hätten. «Als Kind ertrug ich in der Schule keine Ungerechtigkeiten und half anderen Kindern, die aus meiner Sicht nicht gerecht behandelt wurden. Das hatte sicher auch Einfluss auf meine spätere Berufswahl.»
Sandra Schneider beschreibt ihre Familie als «nicht stark politisiert». Der Grossvater betrieb eine Schlosserei und war als Gewerbetreibender FDP-Mitglied. Am Mittagstisch wurden vor allem Themen diskutiert, die den Betrieb betrafen, etwa Steuerfragen. «Als Familie haben wir regelmässig die «Arena» im Fernsehen geschaut.» Die kaufmännische Lehre absolvierte sie in der eidgenössischen Steuerverwaltung in Bern, diese Zeit hat sie geprägt und dort erwachte auch ihr politisches Interesse. Sie studierte verschiedene Parteiprogramme und kam zum Schluss, dass sie am besten zur Jungen SVP passte. Mit knapp 18 Jahren wurde Sandra Schneider Mitglied und übernahm rasch erste Funktionen.
Haben die beiden auch schon Hand geboten für Kompromisse und Kröten geschluckt, um zumindest ein Minimalziel zu erreichen? «Sicher, ich verbiege mich immer wieder», sagt Ammann und nennt als Beispiel die Unterbringung von Asylsuchenden. «Ich bin grundsätzlich gegen eine Unterbringung in Lagern.» Im Parlamentsbetrieb sei sie dann doch bereit, Abstriche zu machen, «damit die Lager immerhin nicht unterirdisch sind und so zentral gelegen sind, dass man zumindest minimale Bewegungsfreiheit hat».
Sandra Schneider findet, sie müsse sich im Grossen Rat eigentlich nicht verbiegen. Christa Ammann wirft ein: «Ja, du bist ja auch Teil einer komfortablen Mehrheit.» Schneider erwähnt ihren Vorstoss, die Debatten des Grossen Rats via Livestream der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, jede Fraktion habe ihn unterschrieben und seit der Herbstsession 2022 sei er umgesetzt. Christa Ammann spannte mit SVP-Grossrat Thomas Knutti zusammen, als es darum ging, einen Vorstoss zu lancieren, der die notwendige Unterschriftenzahl bei Initiativen und Referenden senken wollte. «Ich würde mit Sandra aber keinen Vorstoss in der Sozialhilfe machen, auch nicht als Kompromiss. Dafür sind unsere Grundwerte einfach zu verschieden», sagt Ammann.
«Den Mund wundgeredet»
Trotz aller Differenzen: Beide sind sich einig, dass Kommunikation über die politischen Lager wichtig für die parlamentarische Arbeit ist. Christa Ammann erwähnt das Thema Stimmrecht für Ausländer auf kommunaler Ebene, «da habe ich mir fast den Mund wundgeredet». Hat sie auch mit Sandra Schneider das Gespräch gesucht? «Nein, das wäre schade für die aufgewendete Zeit gewesen», sagt Ammann. «Da hättest du auf Granit gebissen», bestätigt Sandra Schneider, «das Stimmrecht geht für mich nur via Einbürgerung». Steter Tropfen höhlt aber langsam den Stein, davon ist Ammann überzeugt: Sie hätten im Grossen Rat fast eine Mehrheit hinbekommen, der SP-Vorstoss wurde im November 2020 mit 76 zu 68 Stimmen knapp abgelehnt.
Das Gespräch bleibt im Tonfall freundlich, nur hin und wieder wird deutlich, wie weit voneinander entfernt die beiden sind – etwa wenn vom Vorstoss von Christa Ammann die Rede ist, die mit einem Ordnungsantrag verlangte, dass die Ratssitzung am diesjährigen Frauenstreiktag um 15.24 Uhr enden sollte. Dieser Zeitpunkt stelle den Moment dar, ab welchem die Frauen im Vergleich zu den Männern für die gleiche Arbeit nicht mehr bezahlt würden. Der Grosse Rat lehnte den Ordnungsantrag mit 92 zu 50 Stimmen ab.
Schneider stimmte auch dagegen, die Gleichstellung sei in der Verfassung verankert und heute realisiert. Der Vorstoss von Christa Ammann ist für sie «politisches ‹Gegränne›, um den Feminismus noch zu rechtfertigen». Ammann ist sprachlos: «Muss ich da etwas entgegnen?» Was sie nach einer Pause auch wortreich tut: Der Gender-Pay-Gap spreche eine klare Sprache, das seien Fakten, Gleichstellung sei nicht erreicht, es gebe noch viele Diskriminierungen. «Sandra, du sprichst vielen Leuten ihre Lebensrealität ab.»
Sandra Schneider setzt ihre Lebensrealität dagegen: Sie arbeitet in einem KMU in der Baubranche, dort mache sie die Erfahrung, dass beide Geschlechter die gleichen Chancen hätten: «Es gibt bei uns auch eine Bauführerin, und auf dem Bau und unter den ‹Transpörtlern› hat es immer mehr Frauen.» Schneider erwähnt einen ihrer Vorstösse im Grossen Rat. Sie wollte wissen, woher die gewalttätigen Partner in den Frauenhäusern kommen: «Es sind zu 75 Prozent Ausländer. Wenn man sie konsequent ausschafft, dann haben auch Frauen mehr Sicherheit. Es geht doch schliesslich um Menschen.»
Gegenseitige Sympathie?
Christa Ammann schüttelt den Kopf: Ihr gehe es auch um die Menschen, aber die ökonomische Ungleichheit sei zentral, nicht der Ausländerstatus, das sei einfach fremdenfeindliche Politik, die alle wissenschaftlichen Studien ignoriere. «Auf schlechter gestellten Gruppen in der Gesellschaft herumzuhacken, das geht gar nicht.»
Die beiden Politikerinnen gehen einträchtig zum Bahnhof, nachdem die letzte Frage nicht wirklich geklärt werden konnte. Können sich zwei Menschen trotz so fundamentaler Differenzen menschlich sympathisch sein? Sandra Schneider will das nicht kategorisch ausschliessen. Christa Ammann wiederum sagt es direkter, fast ein wenig im hemdsärmeligen SVP-Stil: «Es gibt bei den Rechten und bei den Linken unangenehme Mitmenschen, auch Arschlöcher genannt.»
Quelle: Alexander Sury, Berner Zeitung