Apéros, Guetzli und Händeschütteln

An der Gewerbeausstellung in Aarberg werben Politiker um die Gunst der Seeländer. Manche stellen für den Wahlkampf gleich ein sechsköpfiges Team auf. Was sonst noch so nötig ist. 

Am Vorabend der Gewerbeausstellung tackert Jan Gnägi vor dem Fernseher Kambly-Guetzli an sein Gesicht. Nach zwei erfolglosen Kandidaturen hat der Nationalratskandidat für Die Mitte begriffen: «Es muss etwas zu Essen auf den Wahlkampf-Flyer», sonst werfen ihn die Leute ausgangs in die Tonne. Drei Meter weiter ist die Konkurrenz aus der SVP eine Nasenlänge voraus. Thomas Knutti verteilt Nastücher. «Give-Aways sind wichtig», sagt er und wühlt aus einer Adidas-Tasche Notiz -Nationale Wahlen Oktober 2023 In der BT-Serie beleuchten wir im Vorfeld der Wahlen das politische Geschehen in der Region. blocke hervor.

Auf jedem Blatt lacht sein Gesicht in der Kopfzeile, daneben ein QR-Code, der auf seine Webseite führt – «für die Jungen», sagt Knutti. Sein Polohemd ist mit «#thomasknutti» bedruckt. Es ist ein bisschen verkehrte Welt an der Gewerbeausstellung «Aargwärb». SVPler bedienen sich am grünen Regenschutz für Velositze, ein Mitte-Politiker hisst die grüne Flagge und eine Politikerin in knallrotem Shirt legt Flyer mit dem SVP-Sünneli auf den Tisch der Genossen. Die Politik in gänzlicher Harmonie, als würden Wölfe plötzlich mit Schafen schmusen.

Die Parteien führen den Platz gemeinsam, Tisch an Tisch, Plakat an Plakat. Sandra Käser ist im Vorstand der SP Aarberg und hat den Stand mit den anderen etablierten Parteien organisiert. «Wir arbeiten auf lokaler Ebene ohnehin überparteilich zusammen, also können wir auch gleich gemeinsam einen Stand organisieren», sagt sie. So stehen also Politikerinnen und Politiker von links bis rechts nebeneinander und weibeln um Wählerschaft. Irgendwie zusammen, aber doch jeder für sich.

Denn der Wahlkampf hat begonnen. Die eidgenössischen Wahlen werden zeigen, wer von sich überzeugen konnte. Das Seeland stellt bisher zwei Nationalräte: Kilian Baumann aus Subergfür die Grünen und Heinz Siegenthaler aus Rüti für Die Mitte. Der verflixte Bisherigen-Bonus Die Plätze im Nationalrat sind beliebt, im Kanton Bern treten alle bisherigen Nationalrätinnen und Nationalräte wieder an, nur in der SVP sind drei Sitze neu zu besetzen, plus einen bei der FDP. Die Chancen für bisherige Kandidaten stehen naturgemäss besser als für Neuankömmlinge.

Wer noch in den Nationalrat will, muss jetzt auf Stimmenfang. Seit den Sommerferien vergeht bei Mitte-Mann Jan Gnägi aus Aarberg kein Tag ohne Wahlkampf. An diesem Samstagvormittag steht er an der Gewerbeausstellung, am Nachmittag folgt ein Termin in Ostermundigen und am Abend dann ein Anlass in Jens. «Ich schlafe jetzt noch weniger», sagt er – vor einem Jahr ist er zum ersten Mal Vater geworden. Die nächsten Wochen bis zum Wahltag am 22.

Oktober werde er jeden Tag irgendwo im Kanton rumtingeln. Vereinsanlässe, Ausstellungen, Podien – die übliche Ochsentour durchs Land. Es gibt verschiedene Methoden, um Wählerinnen zu gewinnen. Die einen setzen auf soziale Medien. Andere pflastern viel befahrene Strassen mit ihrem Konterfei voll.

Wieder andere trinken an sogenannten «Inzest-Anlässen» literweise Bier mit Gleichgesinnten und hoffen so, ihr Gefolge zu mobilisieren. Es gibt aber ein Erfolgsrezept, das alle Parteien anwenden: mit den Leuten reden – sich nahbar zeigen. «Das ist das Allerwichtigste», sagt Thomas Rnutti von der SVP. Die Gewerbeausstellung in Aarberg ist dafür ein dankbarer Ort. Vor allem für die Bürgerlichen mit einem Wähleranteil von knapp 60 Prozent in Aarberg.

Gegen Mittag hat sich am Tisch mit dem SVP-Sünneli ein Kreis Biertrinker formiert. Thomas Rnutti und Sandra Schneider mittendrin. Beide kandidieren für den Nationalrat. Thomas Rnutti fiebert der Wahl schon seit Januar entgegen. Er hat ein Team aus sechs Leuten an seiner Seite, die ihn unterstützen – ein Wahlkampfleiter und j e eine Person für Administration, Finanzen, soziale Medien, Plakate und Grafiken.

«Alles in Fronarbeit», wie Rnutti sagt. Ohne Freiwillige ginge nichts, «wir müssen den Wahlkampf selbst bezahlen, da kommt kein Geld von der Partei». Ohne Wahlkampfteam unmöglich Auch Parteikollegin Sandra Schneider aus Biel hat ein Team von Parteifreunden, die ihr beim Wahlkampf helfen. Doch vieles macht sie selbst. Täglich verbringt sie eine bis zwei Stunden auf den sozialen Medien.

Beantwortet Fragen oder verbreitet ihre Meinung. Es kostet Arbeit, sich im Gedächtnis der Bevölkerung einzunisten. Und nicht immer ist abzusehen, ob sich ein Engagement auch lohnt. Das merken an diesem Tag vor allem die Vertreterinnen der linken Parteien, so umzingelt vom lokalen Gewerbe. Michelle Berger trägt ein grünes Kleid, Ohrringe mit grünem Stein, einen grünen Ring und im Hintergrund ist die grüne Fahne inzwischen heruntergefallen.

Doch Berger, im Vorstand der Grünen Aarberg, hält sich bei der Stange, obwohl am Tisch rechts von ihr die Biertrinker-Kommune weiter wächst. Wählerinnen gewinnen, das ist wie Puzzeln «Dass wir hier keine Wählerinnen gewinnen, war uns klar», sagt Berger. Sie erklärt: Wählerinnen gewinnen, das sei wie puzzeln. Man müsse sich als Partei oder Kandidatin immer wieder zeigen und dann kämen Stück für Stück Wählerinnen hinzu. «So leicht geht das nicht!» Die Gewerbeausstellung ist zwar bürgerliches Revier, doch am Stand der vereinten Parteien wird Rot-Grün würdig vertreten.

Am Nachmittag stehen Nationalrätin Flavia Wasserfallen und Nationalrat Matthias Aebischer am Tisch der SP. Für die Grünen kommt Bernhard Pulver, der für einen Berner Ständeratssitz kandidiert. Der Seeländer Mitte-Kandidat Jan Gnägi ist da schon längst wieder woanders. Ihm bleiben nur noch ein paar Wochen und es wollen noch viele Kambly-Guetzli mit seinem Lächeln verteilt werden.

Quelle: Bieler Tagblatt

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