Eine neue Chance im „Niemandsland“

Die Verlegung der Drogenanlaufstelle von der Altstadt an die Murtenstrasse wird zwar mehrheitlich begrüsst. Die Probleme dürften damit aber nur teilweise gelöst sein.

(ed) Die politischen Parteien sind sich grundsätzlich einig: Der vorgesehene neue Standort für die Drogenanlaufstelle an der Murtenstrasse 68 verdient eine Chance. Dass damit alle Probleme aus der Welt geschafft werden, glaubt aber niemand. Vielmehr drohen neue: Es könnte sich eine offene Drogenszene entwickeln, wenn der neue Standort nicht oder nur ungenügend genutzt wird. Oder aber durch die Nähe zum Bahnhof ergeben sich zusätzliche Probleme an einem bereits heute neuralgischen Punkt.

Ein Hin- und Herschieben?

Urs Scheuss, Präsident der Grünen, macht sich keine Illusionen: «Ob der Standort der Drogenanlaufstelle an der Murtenstrasse gut ist, wäre zu diskutieren. Sicher ist nur, dass er nicht definitiv ist», sagt Scheuss. Er spricht damit auf den Autobahn-Westast an. Wird er gebaut – und damit ist zu rechnen – wird sich die Anlaufstelle wieder nach einem neuen Standort umsehen müssen. «Es stellt sich deshalb für mich die Frage, ob da nicht einfach unliebsame Menschen hin- und hergeschoben werden sollen», sagt Scheuss. Der vorgesehene Standort befinde sich in einer Art «Niemandsland» zwischen Biel und Nidau, also faktisch am Stadtrand. «Es ist auch eine Frage der Menschenwürde, wenn man gewisse Bevölkerungsgruppen ausgrenzt, und zwar nicht nur sozial, sondern auch geographisch und physisch», meint Scheuss, der auch Bedauern darüber äussert, dass das soziale Bistrot «Yucca» die Türen schliessen wird.

Problemzone Bahnhof

«Wir sind froh, dass die Altstadt von der Drogenanlaufstelle entlastet wird», sagt FDP-Präsident Leonhard Cadetg. Der geplante Standort sei sicher gut. «Notwendig sind aber flankierende Massnahmen wie etwa Kontrollen. Eine offene Drogenszene muss mit allen Mitteln verhindert werden», sagt er. Cadetg warnt auch davor, dass das Problem, das heute schon beim Bahnhof besteht, noch grösser werden könnte. «Denn es gibt verschiedene Gruppen – nicht nur Randständige – die sich nachts dort aufhalten und für heikle Situationen sorgen», sagt er. Die Polizei sei aber präsent und schaffe es, die Situation zu kontrollieren. Denn es gebe wenig wirkliche Übergriffe. Aber es dürfe nicht noch schlimmer werden. Cadetg erinnert auch daran, dass die Freisinnigen Ende der 80er Jahre stark daran beteiligt gewesen seien, die reaktionäre Drogenpolitik aufzuweichen mit einem ganzen Strauss von Massnahmen. Diese Massnahmen hätten sich bewährt.

Weniger Reklamationen?

SP-Präsident Niklaus Baltzer äussert sich zufrieden damit, dass die Anlaufstelle aus der zentralen und dicht besiedelten Altstadt herausgenommen werden kann. «Ich hoffe, es gibt dann an der Murtenstrasse weniger Reklamationen. Aber es wird sicher auch dort nicht eine ganz problemfreie Zone sein», sagt Baltzer. Unter den gegebenen Umständen müsse dem neuen Standort eine Chance gegeben werden. Sicher sei die soziale Kontrolle an einem Ort, wo es viele Menschen habe, besser als im «Niemandsland»: «Gerade dort ist es aber vielleicht auch einfacher, als mitten in der Stadt», sagt er. Dass es wegen der Bahnhofsnähe Probleme geben könnte, glaubt Baltzer nicht: «Der Bahnhof selber hat andere Probleme, da käme bloss noch eines hinzu.»

BVP-Vizepräsident Hanspeter Habegger findet den neuen Standort nicht so schlecht. Er sei etwas vom Zentrum weg und doch noch in der Stadt gelegen. In naher Zukunft sehe er dort keine grossen Probleme, der Standort sei sicher besser als der heutige in der Altstadt. Habegger schliesst nicht aus, dass es zur Bildung einer offenen Szene kommen könnte, wenn die Anlaufstelle nicht genutzt werden sollte. «Dann müssen halt einfach die Polizei und die SIP einschreiten», sagt er.

Max Wiher, Fraktionschef der Grünliberalen (GLP), zeigt sich wenig überrascht vom geplanten Standort. Er finde ihn persönlich nicht schlecht, zumal er die Forderung der sozialen Institutionen, dass er zentrumsnah sein solle, erfülle. Der vorgesehene Ort sei nicht sehr stark frequentiert und bewohnt, es befänden sich auch keine Schulen in der Gegend. «Der Ort ist zwar nicht sehr schön und eingekesselt von Strassen. Aber um sich dort das Gift zu spritzen, dürfte er sicher ausreichend sein», sagt Wiher. Da es sich wegen des Westasts voraussichtlich nur um eine Übergangslösung handle, werde in ein paar Jahren wohl wieder ein anderes Quartier die Drogenanlaufstelle bekommen. «Wir müssen dem Ort jetzt eine Chance geben. Das Risiko, dass er nicht genügend genutzt wird, besteht überall», sagt Wiher.

Die Junge SVP Biel-Seeland begrüsste den Grundsatzentscheid, dass die Drogenabgabestelle aus der Altstadt verschwindet. Sie  erwartet aber vom Gemeinderat, dass griffige Lösungen zur Eindämmung der Dealerei getroffen werden. «Dies geht primär nur durch eine erhöhte Polizeipräsenz», sagt Präsidentin Sandra Schneider. Nur so könne eine offene oder halboffene Szenebildung verhindert werden. Durch einen reinen Standortwechsel würden Probleme nicht gelöst, sondern einzig in ein anderes Quartier verschoben. Wenn keine oder ungenügende Begleitmassnahmen getroffen würden, müsse befürchtet werden, dass durch die Nähe zum Bahnhof dort weitere Probleme entstehen könnten. Die Partei wartet Lösungsvorschläge des Gemeinderates ab.

Altstadt atmet auf

René Schlauri, Präsident des Altstadtleists, äussert sich froh darüber, dass die Anlaufstelle aus der Altstadt wegkommt. Einfacher werde es aber sicher auch an einem anderen Ort nicht. Auch er denkt, dass es vorübergehend eine offene Drogenszene geben könnte, bis sich dann alle an den neuen Standort der Anlaufstelle gewohnt hätten. Die Polizei werde sich aber wohl darauf einstellen und besorgt dafür sein, dass es keinen Auflauf gebe. Bis alle Leute wüssten, dass die Anlaufstelle umgezogen sei, werde es wohl Jahre dauern. «Für die Altstadtbevölkerung ist es aber sicher ein gutes Signal, wenn sie jetzt auf den Kalender schauen kann und verbindlich weiss, dass die Anlaufstelle wegkommt. Deshalb ist sie sicher auch bereit, das noch bis zum Schluss mitzutragen.

Quelle: Bieler Tagblatt

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