Wie im Mittelalter

Das Stadtratsbüro lehnt Internet-Liveübertragungen der Bielen Stadtratssitzungen ab.

Die Stadtratsdebatten in Biel und Nidau zur Agglolac-Zukunft waren am 17. und 18. März live im Internet zu sehen. In Biel wurde eine einzige Kamera mit fester Einstellung eingesetzt, der Bildausschnitt war oft schlecht. An der Sitzung in Nidau standen drei Kameras zur Verfügung, von den Politikerinnen und Politikern am Rednerpult konnten die Zuschauenden Nahaufnahmen sehen.

Motion

Was für das Agglolac-Geschäft Gültigkeit hatte, könnte für alle Stadtratssitzungen eingeführt werden, damit Interessierte die Debatten von zuhause aus mitverfolgen können, dachten sich Bieler Parlamentarierinnen und Parlamentarier. Unter der Ägide der von SVP-Stadträtin Sandra Schneider signierten Politikerinnen und Politiker aller politischer Parteien – vom damaligen Stadtratspräsidenten Leonhard Cadetg (FDP) bis zur Kommunistin Marisa Halter eine entsprechende Motion. Mit dieser werden zwei Punkte gefordert: «Der Stadtrat soll über die Einführung eines Livestreams für sämtliche Stadtratssitzungen befinden. Falls nötig, soll die Geschäftsordnung (GO) des Stadtrates ergänzt werden, um die rechtlichen Grundlagen zu schaffen und um die Abläufe zu regeln.»

Transparenz

Doch das Stadtratsbüro – es setzt sich zusammen aus der Stadtratspräsidentin, dem 1. Vizepräsidenten und der 2. Vizepräsidentin sowie den zwei Stimmenzählenden – lehnt Live-Streams ab. «Mit der Übertragung von Parlamentssitzungen in Bild und Ton wird angestrebt, die Transparenz und Zugänglichkeit der Stadtratssitzungen zu erhöhen und dass neue Bevölkerungskreise (insbesondere jüngeren Jahrgangs) für Politik interessiert werden.» Das Ratsbüro hegt Zweifel betreffend die Direktübertragungen der Debatten im Internet: «Die Nutzungszahlen für die mit einem grossen Publikumsinteresse verbundene Agglolac-Debatte lassen bezweifeln, dass das monatliche Streaming von weniger mediatisierten Stadtratsdebatten auf grosse Resonanz stossen würde. Gemäss Auswertung schwankte die Zuschauerzahl für die Agglolac-Debatte am 17. und 18. März zwischen 10 und 50 Personen, mit einem punktuellen Höchstwert von 80 bis 130 Personen am 17. März. Regelmässig mitverfolgt haben die Übertragung im Schnitt rund 40 Personen pro Abend.»

Abstimmung

Für das Stadtratsbüro wäre der Transparenz mit der Einführung eines elektronischen Abstimmungssystems eher gedient. Ein solches System würde allen Interessierten erlauben, sich ein Bild über das Abstimmungsverhalten der 60 Parlamentarier zu machen. Ein Vorstoss zur Einführung eines solchen Systems wird im Rahmen der Totalrevision der Stadtordnung geprüft. Videoübertragungen hätten Kosten zu Folge: Die externen Aufwendungen für das Live-Streaming einer Doppelsitzung belaufen sich je nach gewählter Variante auf rund 3000 Franken (statische Kamera) respektive 4500 Franken (statische und bewegte Kamera), wobei der zusätzliche Arbeitsaufwand des Ratssekretariats nicht mitgerechnet ist. Zurzeit finden die Sitzungen im Kongresshaus statt. Kehrt der Rat zurück in den Stadtratssaal in der Burg, wäre das Live-Streaming mit weiteren Kosten verbunden.

Sandra Schneider: «Die Bevölkerung hat heute keine Möglichkeiten, nachzuverfolgen, was wir im Stadtrat überhaupt diskutieren und beschliessen.».

Aus Sicht des Stadtratsbüros überwiegen die Nachteile gegenüber den Vorteilen eines systematischen Live-Streams. «Hingegen wird die Möglichkeit eines Live-Streams in Ausnahmesituationen im Rahmen der Totalrevision der Stadtordnung zu prüfen sein», so das Stadtratsbüro.

Sandra Schneider, Initiantin der überparteilichen Motion, lässt sich nicht beirren: «Die Bevölkerung hat heute keine Möglichkeiten, nachzuverfolgen, was wir im Stadtrat überhaupt diskutieren und beschliessen. Die aktuellsten Ratsprotokolle sind aus dem Jahr 2018! Die Übertragung via Bild und Ton macht eine Debatte spannend und nachvollziehbar. Übrigens: Im Kantonsparlament habe ich eine gleichlautende Motion eingereicht, welche zur Annahme empfohlen wird. Wieso will die Stadt Biel also im medialen Mittelalter stecken bleiben?»

Quelle: BIEL BIENNE, 17. August 2021

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