«Deine schönen Augen haben sicher mitgeholfen»

Frauen in der Schweiz stellen derzeit unter #SchweizerAufschrei den Sexismus im Alltag und in der Politik an den Pranger. Die Aktion ins Leben gerufen hat eine Geschlechterforscherin aus Biel: denn von ihr kam der allererste Tweet.Frauen in der Schweiz stellen derzeit unter #SchweizerAufschrei den Sexismus im Alltag und in der Politik an den Pranger. Die Aktion ins Leben gerufen hat eine Geschlechterforscherin aus Biel: denn von ihr kam der allererste Tweet.

Als Lena Frank aus dem Fenster schaute, sah sie vor ihrer Wohnung einen Mann herumstehen. Es war der Mann, mit dem sie sich kurz zuvor im Ausgang unterhalten hatte. Sie hatte sich aber bereits im Lokal von ihm verabschiedet. Verstanden hatte er das offenbar nicht und war gefolgt. Auf Twitter hat die Bieler Stadträtin (Grüne) ihr Erlebnis so geteilt: #SchweizerAufschrei – Weil 3 Küsschen zur Verabschiedung keine Aufforderung dafür ist, mir bis nach Hause zu folgen. Unter diesem Hashtag in den Sozialen Medien haben es ihr viele Frauen in der Schweiz gleich getan. Sie berichten von Sexismus und sexuellen Übergriffen im Alltag. Und von dummen Kommentaren oder abschätzigen Bemerkungen. Die Lawine ausgelöst hat Donald Trump mit seiner Verharmlosung von sexueller Gewalt. In der Schweiz initiiert hat die Aktion die Bieler Geschlechterforscherin Franziska Schutzbach zusammen mit drei anderen Aktivistinnen. Vorletzten Mittwoch tippte Schutzbach um 17.51 Uhr:«Langsam Zeit für einen Schweizer Aufschrei: Der Typ, der mich als 14-Jährige im Wald verfolgte und mir an die Brüste griff.»

Kleidung kommentieren
Getweetet haben daraufhin auffallend viele Politikerinnen. Es sind Berichte von klaren Grenzüberschreitungen. Doch manchmal kommt Sexismus auch versteckt daher. So schrieb Nationalrätin Mattea Meyer (SP) auf Twitter: «Wenn mich Ratskollegen als ‹äs Charmants› bezeichnen und meine Kleidung kommentieren.» Die Meinungen, ob das zu weit geht, sind geteilt: Die Bieler Stadträtin Sandra Schneider (SVP) sagt beispielsweise, dass ein Kompliment manchmal einfach nur ein Kompliment sei.

Zürcher Stadtparlamentarierinnen hatten letzte Woche im «Tages Anzeiger» gesagt, dass sie sich von Politikern immer wieder sexistische Sprüche anhören müssten. Sie habe im Bieler Stadtrat noch nie Sexismus oder gar sexuelle Belästigung erfahren, sagt Schneider weiter, die die einzige Frau in ihrer Fraktion ist. «Natürlich fällt auch mal ein dummer Spruch, dann gebe ich aber einfach zurück.»

Etwas anders sieht das Stadträtin Frank:«Auch ich erhalte gerne ein Kompliment. Wenn es aber mit einem unterschwelligen Ton daherkommt, setze ich Grenzen.» Auch Frank sagt, dass sie im Bieler Stadtrat noch nie Probleme gehabt habe mit Sexismus. Im grösseren politischen Umfeld allerdings schon. So habe ihr einmal ein Mann nach einer Diskussionsveranstaltungen, an der sie erfolgreich teilgenommen hat, gesagt, «deine schönen Augen haben sicher mitgeholfen.» Es stört sie, wenn über das Äussere statt über Inhalte geredet wird. Und unüberlegte und chauvinistische Sprüche gehören laut ihr zum unterschwelligen Sexismus, den Frauen im Alltag regelmässig erleben. «Deshalb begrüsse ich die Aktion, weil sich die Männer nun Gedanken machen müssen, wie gewisse Äusserungen ankommen.»

«Ich bin keine Richterin»
Schutzbach, die an der Universität Basel forscht, freut sich über das grosse Echo, dass die Aktion ausgelöst hat. Ihrer Meinung nach hat praktisch jede Frau schon Sexismus erlebt. Und laut Studien erlebe jede dritte Frau in der Schweiz sexuelle Übergriffe. Doch wo liegen die Unterschiede zwischen sexuell motivierten Aussagen, einem dummen Herrenwitz oder einem charmanten Kompliment? «Ich bin keine Richterin», so Schutzbach. Es gehe aber in jedem Fall darum, wie es bei einer Frau ankomme und nicht unbedingt, wie es gemeint sei.

«Männer müssen akzeptieren, dass ein Spruch vielleicht anders wirkt, als erwartet.» Im besten Fall sei ein Mann fähig, sich selber zu reflektieren, und entschuldige sich für sein Verhalten, wenn er darauf angesprochen werde. Es gehe aber nicht darum, die Schuld bei einer Einzelperson zu suchen. «Sexismus ist auch ein gesellschaftliches Problem». Deshalb soll laut Schutzbach ruhig auch mal ein Mann einen anderen darauf aufmerksam machen, wenn Grenzen überschritten werden. Mit der Aktion will die Bielerin zeigen, dass Sexismus im Alltag nicht normal ist.

Quelle: Deborah Balmer, Bieler Tagblatt

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